Um 3.45 Uhr klingelt am Samstag bei Daniel Knauer in Veckenstedt der Wecker. „Ich packe dann in Ruhe mein Zeug zusammen und fahre gegen 5 hoch nach Schierke“, sagt der 44-Jährige vom Brockenlaufverein Ilsenburg. Bis um 5.45 Uhr muss er sich in die Liste der Läufer eingetragen haben. Wechselsachen, Trillerpfeife, Handy, Wärmedecke, Kopflampe sowie seine „Yaktrax“ – Schneeketten für die Laufschuhe – sind Pflicht. Und trotz Verpflegungsstellen haben die Läufer auch für alle Fälle etwas zu essen und zu trinken dabei. Um 6 rennt er los in Richtung Göttingen. Von Schierke nach Göttingen? Irgendwas stimmt da nicht!
Corona hat vieles durcheinandergewirbelt. Manches auf den Kopf gestellt. Jetzt auch die Brocken-Challenge (BC). Der harte Lauf, der in jedem Februar über mehr als 80 Kilometer von Göttingen zum Brocken führt, findet in diesem Jahr andersherum statt, weil eine Verpflegung der Läufer im Brockenhotel nicht möglich ist. „Brocken-Challenge Reverse“ nennt sich das dann.
Nun geht es also in der Dunkelheit mit Stirnlampe die Brockenstraße von Schierke bis zum Gipfel hinauf. Hier kurz durchatmen, umdrehen und wieder runter – die bekannte BC-Strecke über den Goetheweg nach Oderbrück, über Königskrug, Barbis, Rhumequelle, Rollshausen, Landolfshausen nach Göttingen. Durch den Schlenker nach Schierke – sonst endet der Lauf ja oben auf dem Brocken – müssen die Läuferinnen und Läufer in diesem Jahr mindestens 92 Kilometer unter die schmerzenden Füße nehmen. Weil im Westharz leichte Variationen der Strecke möglich sind, kann es auch etwas mehr sein. Was 2022 aber so ist wie immer: Die Läufer erwarten Schnee, Eis, Sturm, Dunkelheit, Kälte. Das Motto des für einen guten Zweck veranstalteten Laufs ist nicht ohne Grund „kalt – hart – schön“.
Gerade hat Daniel erst einen Testlauf von Königshütte zum Wurmberg absolviert. Nun weiß er, was beim BC auf ihn zukommt: „Da sind wir knietief im Schnee versunken“, sagt er. Bis zum Brocken sei es kein Problem – die Brockenstraße ist geräumt -, und dann ist auch schon ein Drittel der Höhenmeter geschafft. „Danach wird es eine echte Herausforderung“, sagt Daniel, der seinen Lebensunterhalt als Lkw-Fahrer für eine Recyclingfirma verdient. „Wenn man durch hohen Schnee bergab läuft, ist es so anstrengend wie ohne Schnee bergauf.“ Hinzu kommt: Das angekündigte Wetter ist Daniel eigentlich schon fast zu schön. Er mag es richtig kalt und schmutzig. So wie 2019, als der Sturm die Läufer fast vom Eis fegte.
Doch egal, wie das Wetter sein wird, wie hoch der Schnee auch liegt: Daniel ist ein erfahrener Ultraläufer und gut auf den Kampf gegen die Elemente vorbereitet. Vier- bis fünfmal hat er in der vergangenen Zeit pro Woche trainiert – 70 bis 100 Kilometer. Seine BC-Bestzeit liegt bei 8 Stunden und 45 Minuten. „Da hat einfach alles gepasst“, sagt er. Für dieses Jahr wünscht er sich, dass er unter 10 Stunden bleibt. Immerhin hat das Umdrehen der Strecke ja auch etwas Gutes: Statt 1.900 Metern bergauf sind es dieses Mal nur 1.540.