106 Kilometer, 5.293 Höhenmeter: Zwei Brockenläufer finishen Zugspitz Ultratrail
Es ist nicht so, dass er nicht gewusst hätte, was da auf ihn zukommt: 106 Kilometer, 5.293 Höhenmeter, Müdigkeit, Schmerzen in allen Teilen des Körpers, Erschöpfung. Knapp 21 Stunden war Steven Lambeck in der Nacht von Freitag auf Samstag rund um die Zugspitze unterwegs. Für ihn war es das dritte Mal, dass er den „Zugspitz Ultratrail“ (ZUT) lief. Und man kann nicht sagen, dass er es nicht absolut genossen hätte. Es ist genau das, was er wollte. Wie hält man diese schier unmenschliche Quälerei durch? Steven Lambeck hat dafür einen ganz einfaches Rezept: „Wenn du auf der Strecke dann doch mal einen dunklen Moment hast“, sagt der 54-Jährige, „dann siehst du die schönen Berge um dich herum − und schon geht es wieder.“
Laufen steckt an
Steven hat zweimal den Rennsteigmarathon und sechsmal in Folge den Brockenmarathon beim Harzgebirgslauf gewonnen. Mit seiner Freude am ZUT hat er in diesem Jahr auch einen anderen Teamkollegen vom Brockenlaufverein Ilsenburg angesteckt: den Ilsenburger Sven Franke. Beide laufen sie jedes Jahr zusammen den langen Kanten beim Rennsteiglauf − mehr als 70 Kilometer − oder den „Thüringen Ultra“ über 100 Kilometer. Wo kein „Ultra“ dranklebt, das kommt nicht in die Tüte. Franke ist sogar schon mal den „Rennsteig nonstop“ gelaufen − 168 Kilometer am Stück.
Aber der hat eben nur halb so viele Höhenmeter wie der ZUT. Und das hat der 57-Jährige auch gemerkt. „So leer waren meine Oberschenkel noch nie“, sagt er nach dem Lauf, bei dem er gut 20 Stunden und 36 Minuten unterwegs war. Schneller als Steven, obwohl er eigentlich eine Stunde hinter ihm lief. Das kam dadurch, dass Sven wegen eines drohenden Gewitters am Ende ein paar Kilometer abkürzen musste und so auf „nur“ 100,5 Kilometer kam, während sein Teamkollege über die volle Strecke rennen musste. „Da muss ich dann wohl nächstes Jahr noch mal antreten...“, sagt Sven achselzuckend.
Obwohl er ein erfahrener Haudegen ist, der wie ein Schiffsdiesel ruhig Kilometer um Kilometer abspult, merkt man ihm den Respekt vor dieser Strecke an. „Das war bis jetzt die Krönung“, sagt er. Schaut man sich an, wie der Trail des ZUT um das Zugspitz-Massiv mäandert, bekommt man eine Ahnung davon, was die 615 gemeldeten Starter leisten mussten − und warum nur etwa 450 von ihnen im Ziel angekommen sind. Start ist um 22 Uhr in Garmisch. Dann geht es im Dunkeln mit Stirnlampe über verblockte Pfade über den idyllischen Eibsee und die Gamsalm nach Ehrwald in Österreich. Über die Südseite von Deutschlands höchstem Berg laufen die ZUTler nach Mittenwald, dem östlichsten Punkt der Strecke.
Zurück führt der Trail schließlich über das malerische Schloss Elmau, wo sich einst die G7-Mächtigen trafen, nach Garmisch. Rauf-runter, rauf-runter, rauf-runter − das ist der Takt, der die Oberschenkel mit Laktat flutet und das Hirn mit Endorphinen. Mit 2.190 Metern ist nach etwa 30 Kilometern der höchste Punkt der Strecke erreicht, aber danach geht es auch noch zweimal über die 2.000er-Grenze. „Erst ab Kilometer 70 läuft man auf einem Radweg“, sagt Sven. „Vorher über Steine und Wurzeln − immer steil hoch und steil runter.“ Für ihn war klar: „Es bringt nichts, auf Zeit zu laufen − es geht nur ums Ankommen.“
27 Stunden sind die Grenze
Wobei: So ganz stimmt das auch nicht. Denn, wer die Strecke nicht innerhalb von 27 Stunden hinter sich bringt, bekommt ein „DNF“ in der Starterliste − „Does Not Finish“. Die beiden Brockenläufer sind davon aber weit entfernt. Mehr als sechs Stunden. Sie sind über 100 Kilometer mit ihren etwa drei Kilo schweren Rucksäcken mit Flüssigkeit und Notfallausrüstung im Gebirge unterwegs gewesen, haben sich durch Koffein-Gels und -Gummibärchen (Steven) oder die Gewöhnung an Nachtschichten (Sven) wach gehalten und sich endlich im Ziel ein Bier gegönnt.
Und nun? „In drei Wochen sind wir beim ‚Thüringen Ultra‘ dabei“, sagt Steven grinsend. „Zum Auslaufen.“